Psychotherapie statt Sonderpädagogik

Das Sozialverhalten verbessern
Unser Termin beim Kinder- und Jugendpsychologischen Dienst

Wie Psychotherapie sonderpädagogischen Förderbedarf überflüssig werden lässt.

Von Claudia (Juli 2017)

Hallo Katharina,

am Mittwoch, den 19. Juli war der letzte Schultag und am Donnerstag, den 20. Juli hatte ich dann den vorerst letzten Termin zur Besprechung von Lars’ Schwierigkeiten in der Schule.

Weil Lars zu Anfang des Jahres so aggressiv war und unter starken Stimmungsschwankungen litt (s. auch Protokoll der 1. Schulhilfekonferenz), sollte ich zum Kinder- und Jugendpsychologischen Dienst (KJPD) gehen, um mir von einer Jugendpsychiaterin den Bedarf zur Sonderbetreuung von Lars im Hortbereich bescheinigen zu lassen. Darum baten die Erzieher und Lehrer auf der Schulkonferenz.
In diesem Zusammenhang sollten wir auch Tests durchführen lassen, um eine Diagnose für Lars zu erhalten.

Ich hatte damit kein gutes Gefühl, weil ich Sorge hatte, dass Lars einen I-Kind-Stempel bescheinigt bekommt (I-Kind = Integrationskind mit sonderpädagogischem Förderbedarf fürs Lernen und für die soziale und emotionale Entwicklung).
Eine Diagnose wollte ich eigentlich nicht erstellen lassen, weil ich denke, dass Lars mit 11 Jahren noch viel Potenzial zur Weiterentwicklung hat und die Diagnose von heute nicht die von morgen sein wird.

Nach all den anstrengenden Sitzungen in der Schule wegen Lars’ Verhalten lief es immer wieder darauf hinaus, dass ich endlich zum KJPD gehen solle. Durch diesen sogenannten I- Kind-Status würden Fördermittel bereitgestellt werden, die wiederum von der Schule dringend für die Finanzierung von Sonderpädagogen benötigt werden.
Das System geht derzeit davon aus, dass alle Kinder wie geschmiert funktionieren. Alles, was schwierig und zeitaufwändiger ist, wird durch die regulär zur Verfügung gestellten Mittel nicht abgedeckt. Es werden also jedes Jahr einige ‘amtlich beglaubigte Verrückte’ benötigt, um den in Wirklichkeit natürlich niemals reibungslos ablaufenden Schulalltag zu finanzieren. Schlauer wäre meiner Meinung nach, dafür grundsätzlich Mittel bereitzustellen, die nicht an Personen gebunden sind.
Na ja.

Da saßen wir dann beim KJPD und Lars hatte in der Therapiestunde am 11.07.2017 bei Dir gelernt, nicht mehr so böse zu schauen, wenn er vor einer unvorbereiteten und stressigen Situation steht.
Zuvor hatte er sich bei gemeinsamen Gesprächen regelmäßig durch seinen sehr bösen Blick unbeliebt gemacht. Wenn er zu seiner Situation Stellung nehmen sollte, wurde sein Blick immer so beschrieben, als “wolle er sein Gegenüber gleich erwürgen”. Er selbst hatte das nie so empfunden.

‘Der böse Blick’ wurde zuvor bei Katharina in der Therapiestunde durch gezieltes Augentraining (das Verfolgen eines Gegenstandes mit den Augen, der eine liegende Acht beschreibt) und einfache Meditationsübungen (doppelt und einfach sehen) behandelt. Du erinnerst Dich? Wir haben dabei viel gelacht, vor allem, weil Du wirklich ziemlich doof aussiehst, wenn Du in zwei verschiedene Richtungen schielst (kicher).

Lars war dann bei dem Gespräch beim KJPD am Anfang ein bisschen angespannt und die Psychiaterin sagte kurz, er solle sie nicht so böse anschauen. Daraufhin entschuldigte er sich (“Entschuldigung sagen können” haben wir bei der Therapiesitzung am 09.05.2017 geübt) und bat, sie solle ihn ruhig darauf aufmerksam machen, wenn er so guckt, er wolle das selber gar nicht (“Fehler machen dürfen als Voraussetzung, um kritikfähiger zu werden” war Inhalt der Therapiesitzung am 25.04.2017). Sein Blick klarte sich auf und er konnte ganz frei und freundlich die Fragen der Psychiaterin beantworten.

Nach dem Gespräch mit Lars sagte die Psychiaterin, dass sie nicht feststellen könne, dass mit Lars etwas nicht in Ordnung sei. Wenn es in der Vergangenheit Probleme gegeben habe, dann hätten wir die wohl ganz toll mit unserer Therapie bei Dir in Ordnung gebracht. Ich solle mir auch vergegenwärtigen, dass sie mir mit dem I-Kind-Status auch eine seelische Behinderung bei Lars bescheinigen würde, und, ob ich das wirklich wolle.

Das wollte ich natürlich wirklich nicht. Sie sagte, sie hätte den Eindruck, dass Lars im letzten halben Jahr eine sensationelle Entwicklung gezeigt hätte, wenn sie die ihr vorliegenden Berichte mit dem Jungen, der da vor ihr sitzt, vergleicht und dass sie keine Veranlassung sieht, mit Lars weitere Tests durchzuführen, um eine Diagnose zu erstellen. Für sie sei das ein Politikum und sie würde keinen Bedarf für sonderpädagogische Unterstützung bescheinigen.

So konnte ich mit der amtlichen Feststellung, dass mein Junge ganz ok. ist und viel Potenzial besitzt, in die Ferien gehen.
Ist DAS nicht schön?

Jede Woche darf sich Lars bei Dir etwas wünschen, womit er gerne besser klar kommen möchte. Wir erarbeiten gemeinsam im Gespräch solch ein Ziel und dann entscheidet Lars. Auch die ihm wohl gesonnen Erzieherinnen begleiten unsere gemeinsame Arbeit, indem sie ihm sagen und mir schriftlich mitteilen, womit sie nicht klar kommen und was sie sich für Lars wünschen.
Wenn Lars sich dann für ein gemeinsam besprochenes Ziel entscheidet, arbeiten wir an dem Thema eine Stunde. Katharina und Lars balancieren den Stress darauf. Ich darf meistens dabei sein und assistieren.

Danach erhält Lars die Hausaufgabe in der kommenden Woche zu beobachten, wie der Stress weggefallen ist und wie sich sein Wunsch im Leben gestaltet: die Sache, mit der er besser zurechtkommen möchte, die Fähigkeit, die er sich wünscht. Er soll schauen, welche Besserungen sich „wie von alleine“ einstellen, ohne dass er sich dafür anstrengen muss!

“Gerne Lesen” und “besser Schreiben” hat er sich gewünscht. Die Balancen haben auch nur jeweils eine oder zwei Stunden benötigt und er tut beides jetzt mit relativer Lust und Energie, die Noten sind deutlich besser geworden, das sehen die Erzieher auch und sie freuen sich mit ihm.

Vielen, vielen Dank an dieser Stelle nochmal für Deine tolle Unterstützung und … wir sehen uns nach den Ferien.

Viele liebe Grüße von
Claudia und Lars


Die Namen wurden geändert. Der Bericht liegt der Praxis Otto vor.
Die Urheberrechte sind geschützt.

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